Ungebremster Klimawandel
Wie sieht die Welt in 100 Jahren aus?
29.11.2013, 12:45 Uhr | Ein Interview von Ulrich Weih
Wenn der Klimawandel nicht aufgehalten wird, könnten extreme Hitzeperioden – wie hier im Sommer 2003 – zur Normalität werden (Quelle: dpa / PA Fotoreport)
Wissenschaftler erwarten eine Erwärmung der Erde bis zum Ende des Jahrhunderts um bis zu vier Grad, wenn nicht einschneidende Maßnahmen zum Klimaschutz ergriffen werden. Die Folgen dürften verheerend sein. Unter anderem werden ganze Inselstaaten und Millionenstädte an den Küsten verschwinden.
Obwohl die wissenschaftlichen Fakten bekannt sind: Viele Menschen wollen gar nicht wissen, was da genau auf sie zukommen könnte. Wir haben mit dem Klimaforscher Stefan Rahmstorf gesprochen.
t-online.de: Wie würde die Welt in 100 Jahren aussehen, wenn nichts gegen den Klimawandel unternommen wird?
Stefan Rahmstorf: Wenn die Emissionen ungebremst weiter steigen, dann werden wir gegen Ende dieses Jahrhunderts eine Erwärmung um vier Grad gegenüber dem vorindustriellen Temperaturniveau bekommen. Das wäre dann ein komplett anderer Planet.
Wie würde das Leben für die Menschen aussehen?
Ein derart dramatisch wärmeres Klima wird eine ganze Reihe von Problemen mit sich bringen. Fangen wir mit den Extremereignissen an. Deren Zunahme spüren wir bereits heute, obwohl die Temperatur bis jetzt „nur“ um 0,8 Grad gestiegen ist.
Das bedeutet wesentlich extremere Hitzewellen. Die Häufigkeit von neuen monatlichen Hitzerekorden ist bereits jetzt fünfmal so hoch als man das in einem stabilen Klima erwarten würde. Solche Hitzewellen sind keineswegs harmlos. Der sogenannte Jahrhundertsommer 2003 in Europa hat etwa 70.000 Todesopfer gefordert. Und da sind keineswegs nur ältere Menschen gestorben.
Das zweite große Problem ist mit den Hitzewellen verknüpft: Wir werden wesentlich häufiger starke Dürren erleben. Das war auch schon im Sommer 2003 so, da gab es in Europa große Einbußen in der Landwirtschaft. Im Sommer 2010 wiederholte sich das im Osten Europas. In Russland hat der Rekordsommer dazu geführt, dass die Regierung wegen der Dürre Getreideexporte verbieten musste. Entwicklungsländer sind von Dürren umso schlimmer betroffen. Sie haben nicht den Wohlstand, um sich auf dem Weltmarkt Nahrungsmittel einzukaufen. Da geht es wirklich um die Existenz.
Dritter Aspekt sind die extremen Buschfeuer, die dann in manchen Regionen wie Kalifornien, Australien oder dem Mittelmeerraum immer öfter außer Kontrolle geraten. Wir haben das in den letzten Jahrzehnten bereits erlebt, dass dieses Problem sich verschärft.
Vierter Punkt: extreme Niederschläge. Die werden in einem wärmeren Klima häufiger, weil wärmere Luft mehr Wasser aufnehmen kann. Das geschieht, wenn sich die Luft über dem Meer mit Feuchtigkeit sättigen kann. Das erhöht die Gefahr von Extremniederschlägen – wie wir sie in diesem Mai und Juni bereits schon an Donau und Elbe erlebt haben.
Was droht außer diesem Extremwetter?
Neben den Extremereignissen wird auch der Meeresspiegel ansteigen. Je wärmer es wird, umso schneller. Das zeigt auch ein Blick in die Vergangenheit: Wir haben in den letzten 3000 bis 4000 Jahren einen weitgehend stabilen Meeresspiegel gehabt. Im späten 19. Jahrhundert hat der Meeresspiegel begonnen, deutlich anzusteigen. Wir haben seither einen weltweiten Anstieg um etwa 20 Zentimeter erlebt. Dieser Anstieg beschleunigt sich weiter; momentan liegt er etwa bei drei Zentimetern pro Jahrzehnt. Das zeigen Satellitendaten.
Der Anstieg des Meeresspiegels ist ein Problem, das sehr langsam beginnt, aber dann viele Jahrhunderte unaufhaltsam weitergehen wird. Wir haben gerade eine Befragung von 90 Meeresspiegel-Experten aus 18 Ländern gemacht und sie um ihre Einschätzung gebeten. Wir werden bei ungebremsten Emissionen in den nächsten 200 bis 300 Jahren mit mehreren Metern Meeresspiegelanstieg rechnen müssen – und damit mit dem Verlust großer Küstenstädte und ganzer Inselstaaten.
Der Meeresspiegelanstieg entfaltet sich zwar auf einer etwas längeren Zeitskala, aber es sind Prozesse, die wir bereits heute mit unseren Emissionen in Gang setzen. Wir könnten zum Beispiel den großen grönländischen Eispanzer destabilisieren; der hat eine kritische Temperaturgrenze. Noch im letzten Bericht des Weltklimarates ist man davon ausgegangen, dass diese Gefahr erst ab zwei Grad globaler Erwärmung besteht. Die Erkenntnisse im neuen Bericht sehen die Gefahr, die kritische Grenze zu überschreiten, bereits ab ein Grad globaler Erwärmung. Wenn Grönland abschmilzt, wird das den globalen Meeresspiegel um sieben Meter anheben.
Wir haben jetzt noch genug Eis auf der Erde, um den Meeresspiegel um bis zu 65 Meter anzuheben. Wir können uns nur erlauben, einen winzigen Prozentsatz dieser Kontinentaleismassen zu verlieren ohne unsere Küsten massiv zu gefährden.
Warum kann man nicht warten bis bessere Technologien für den Klimaschutz zur Verfügung stehen?
Erstens haben wir die Technologien heute schon, um die Energieversorgung weltweit komplett auf erneuerbare Energien umzustellen. Das haben zahlreiche Expertengutachten gezeigt, unter anderem auch vom wissenschaftlichen Beirat globale Umweltveränderung der Bundesregierung (WBGU).
Zweitens ist es so, dass CO2-Emissionen über viele Jahrhunderte in der Atmosphäre verbleiben. Das heißt, das Klimasystem „vergisst“ nichts. Wir können daher nur so rasch wie möglich die Emissionen vermindern, weil: Wenn wir Null-Emissionen erreicht haben, haben wir zwar eine weitere Erwärmung gestoppt. Aber es gibt kein Zurück mehr von den dann erreichten Temperaturen. Je später wir die Null-Emissionen erreicht haben, auf einem desto höheren Temperaturniveau wird die globale Erwärmung eines Tages zum Stehen kommen.
Wenn wir tatsächlich die Erwärmung auf zwei Grad begrenzen wollen, was ja auch das erklärte Ziel der Staatengemeinschaft ist, dann müssen spätestens ab 2020 weltweit die Emissionen fallen, sonst hat man kaum noch Chancen, das Ziel zu erreichen. Und es wird auf jeden Fall sehr viel teurer-, weil man extrem rasch die Emissionen mindern müsste.
Wie viel Zeit bleibt uns noch?
Ich glaube, eigentlich wissen die Teilnehmer an den Klimagipfeln, dass wir keine Zeit mehr haben. Man hört das in den Lippenbekenntnissen, aber man kann sich nicht einigen – wegen kurzsichtiger Interessen. Wir haben eigentlich nicht mehr die Zeit, die dem Fahrplan der UN-Klimakonferenzen entspricht. Dieser Fahrplan sieht vor, dass 2015 ein Klimaschutzabkommen erreicht wird, was 2020 in Kraft tritt. Aber – 2020 müsste der Gipfel der globalen Emissionen eigentlich schon überschritten sein, dazu muss man vorher schon bremsen. Daher wird der UN-Fahrplan zwar – wenn wir Glück haben – zu einem solchen Vertrag führen, er wird aber nicht ausreichen, um die Erwärmung unterhalb von zwei Grad zu halten. Daher auch die große Bedeutung der Klimaschutzbemühungen von Pionieren, die schon heute vorangehen wollen – und dazu gehören hoffentlich auch die EU und Deutschland.
Kann man sich Klimaschutz denn überhaupt leisten?
Ja, denn das einzige was noch teurer ist als Klimaschutz, ist kein Klimaschutz. Das zeigt zum Beispiel der Stern-Report von dem britischen Ökonomen Lord Stern und viele weitere Untersuchungen: Es kommt uns wesentlich teurer zu stehen, wenn wir keinen Klimaschutz betreiben. Weil wir dann später durch Klimaschäden die Wirtschaft wesentlich stärker beeinträchtigen als es jetzt ein geplanter Umbau des Energiesystems tun würde.
Gibt es Hauptverantwortliche?
Man kann natürlich aufschlüsseln, wo die Emissionen herkommen. Und wenn man sagt, Zweidrittel der Emissionen kommen von etwa 90 Unternehmen, dann mag das richtig sein. Aber letztlich sind es ja wir Konsumenten, die deren Produkte – im konkreten Fall sind es ja hauptsächlich Energieunternehmen – kaufen. Sicherlich ist es eine Betrachtungsweise, es auf Unternehmen aufzuschlüsseln, aber man muss genauso auch die Konsumenten berücksichtigen.
Dasselbe Argument kann man auch verwenden, wenn man es nach Ländern aufschlüsselt. Dann könnte man auch sagen, die Chinesen emittieren sehr viel. Aber das liegt zu einem erheblichen Teil auch daran, dass sie eine Menge Güter herstellen, die wir dann kaufen. Die Emissionen entstehen in China, weil dort die Fabriken stehen.
Also man kann das Problem so oder so aufschlüsseln, auch nach Sektoren wie Verkehr, Heizung usw. Das sind alles interessante Betrachtungsweisen. Es hat aber keinen Sinn, eine Schuldzuweisung auf irgendwelche Teilgruppen zu machen. Wir müssen stattdessen auf allen Ebenen, auf der Ebene der Politik, der Wirtschaft, des einzelnen Verbrauchers, unseren Beitrag leisten, dass die Emissionen fallen.
Klimaschutz durch Aufklärung und Einsicht – oder per Gesetz?
Es braucht auf jeden Fall den gestaltenden Staat, der nicht alles den freien Marktkräften überlässt. Denn die werden ein solches Problem nicht lösen können. Der Staat hat viele Instrumente dafür. Das kann das Ordnungsrecht sein, also zum Beispiel Effizienzstandards für Fahrzeuge, oder es können ökonomische Anreize sein, wie der Emissionshandel oder die Einspeisevergütung.
Die Emission von Kohlendioxid muss einen Preis haben. Das ist in der Ökonomie normal, dass Knappheit einen bestimmten Preis bedingt. Und der Deponieraum in der Atmosphäre für CO2 ist nun einmal knapp und begrenzt, wir können da nicht mehr viel CO2 hineingeben. Deswegen muss jede CO2-Emission einen Preis bekommen. Dann muss der Einzelne auch nicht mehr lange über Ökobilanzen nachdenken – dann sind Produkte, die viele Emissionen verursachen einfach teurer als Konkurrenzprodukte, die weniger Emissionen verursachen.
Professor Stefan Rahmstorf ist Wissenschaftler am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Er lehrt an der Universität Potsdam und ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für globale Umweltveränderung. (Quelle: PIK)
29.11.2013, 12:45 Uhr | Ein Interview von Ulrich Weih